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Spielanalyse
16/06/2022

Christopher Alexander ist tot

Am 17. März 2022 starb Christopher Alexander im Alter von 85 Jahren.

Ein für unser Projekt einflussreicher Visionär, Architekturtheoretiker und Systemgestalter ist gestorben. Was hat das mit der Analyse von Spielen zu tun?

Christopher Alexander war ein Architekt und suchte im Grund fast sein ganzes Leben lang Antworten auf die Frage, was gute Architektur ausmacht und wie wir Menschen diese gestalten können. Sein auch weit über die Architektur hinaus einflussreichstes Konzept ist sicherlich die Mustersprache. 1977 veröffentlichte er gemeinsam mit anderen Autoren das Buch A Pattern Language, in dem erstmals ausgehend von einzelnen Mustern eine ganze Mustersprache entwickelt worden ist.

Ursprünglicher Muster-Ansatz in der Architektur

Ein Muster ist hierbei definiert als eine bewährte Lösung für ein wiederkehrendes Entwurfsproblem. In dem Buch hat er über 250 Muster für den Architekturentwurf zusammengetragen und allgemeinverständlich beschrieben. So z.B. das Muster "Licht von zwei Seiten", das nichts anderes besagt als dass sich Menschen in Räumen, in denen Licht aus Fenster von zwei unterschiedlichen Seiten einfällt, grundsätzlich wohler fühlen. Daraus folgt, dass man bei Grundrissgestaltung dafür sorgen sollte, die Räume nach diesem Muster zuzuschneiden. Jedes dieser Muster verbindet sich mit anderen Mustern zu einem dichten Netzwerk, in dem ein Muster Probleme löst, die sich aus der Umsetzung anderer Muster im Anschluss ergeben können. Die daraus resultierende Mustersprache bietet Architekt*innen eine Orientierung beim Entwurf ihrer komplexen Systeme - von der Regional- zur Stadtplanung bis zum Stadtviertel, den Straßen, den Häusern bis hinunter zur Gestaltung des Fenstersimses.

Die Informatik entdeckt den Muster-Ansatz

In der 1990er Jahren entdeckte die Informatik, insbesondere die Architekten von Software-Systemen, das Konzept der Entwurfsmuster. Die sogenannte "Gang of Four" bestehend aus Erich Gamma, Richard Helm, Ralph Johnson und John Vlissides übertrugen den Ansatz der Entwurfsmuster auf die Software-Architektur, indem sie für die wiederkehrenden Standardprobleme im Software-Entwurf bewährte Lösungsmuster zusammentrugen und in ihrer objektorientierten Struktur beschrieben.

Bis heute haben viele weitere Disziplinen diesen ursprünglich von Christopher Alexander geprägten Entwurfsansatz übernommen und eigenen Pattern Language in ihrer Domäne entwickelt. So zum Beispiel auch die Didaktik. Einen guten Überblick gibt Helmut Leitner in seinem Buch Mustertheorie. Mittlerweile gibt es schon seit langem eigenen Pattern-Konferenzen, auf denen diese Patterns und ihre Mustersprache vorgestellt und diskutiert werden (z.B. die PLoP-Konferenz).

Mustersprachen für Spiel-Design-Elemente

Für unser Projekt EMPAMOS ist der Pattern-basierte Beschreibungsansatz von Spiel-Design-Elementen vor allem deshalb interessant, weil es auch bei der Entwicklung von Spielen oder Gamification-Lösungen stets darum geht, knifflige Entwurfsprobleme zu lösen. Es müssen passenden Spiel-Design-Elemente ausgewählt und geeignet zu einem motivierenden Gesamtsystem kombiniert werden. Und hier passiert es nicht selten, dass man mit dem einen Spiel-Design-Element zwar ein Problem löst, damit aber gleichzeitig auf den Fuß ein anderes Problem folgt. Vorreiter bei der Pattern-basierten Beschreibung von Spiel-Design-Elementen waren die Kollegen Björk und Holopainen, die 2005 in ihrem Buch Patterns In Game Design erstmals Spielentwürfe auf Patterns reduzierten.

Mustersprachen in der Kritik

Mustersprachen sind allerdings trotz ihrer weiten Verbreitung nie unumstritten gewesen und werden auch bis heute immer wieder aus verschiedenen Gründen kritisiert. Ein 2017 veröffentlichtes Paper fasst die wesentlichen Kritikpunkte der letzten Jahrzehnte sehr umfassend, aber trotzdem anschaulich zusammen. Einer davon betrifft die empirische Evidenzbasis, auf die sich die Patterns stützen und die Methoden, wie die Patterns gewonnen wurden. Die Autoren des Papers, Michael J. Davis und Michael J. Ostwald, fassen es wie folgt zusammen: "Alexander’s supporting evidence has been criticised for being superficial, pseudo-scientific and little more than personal preference".

Mittlerweile wurde Methoden zur datengetriebenen Gewinnung von Patterns (eng. Pattern Mining) vorgestellt und Pattern-Beschreibungen werden im Rahmen von wissenschaftlichen Konferenzen auch systematisch begutachtet (z.B. mit dem Shepherding-Ansatz). Dennoch führen die meisten der dokumentierten Pattern Languages bis heute allenfalls anektodische Evidenzen an, was dazu führt, dass die eigentliche Bedeutung der Patterns in der Praxis unklar bleibt.

EMPAMOS: eine evidenzgetriebene Pattern Language

Hier verfolgen wir mit dem EMPAMOS-Projekt einen grundlegend anderen Ansatz, indem wir unsere Pattern Language auf Basis einer umfangreichen und breiten empirische Analyse entwickelt haben. Unseren datengetriebenen Ansatz des Pattern Minings haben wir 2020 in diesem Paper zusammengefasst. Stand heute haben wir damit rund 100 Spiel-Design-Elemente als Patterns beschreiben, für die wir seit 2016 rund 50.000 empirische Belege in den Spielen des Deutschen Spielearchivs gesammelt haben. Auf diese Weise wissen wir bei jedem unserer Patterns, wie häufig es in der Vergangenheit bereits in Spielen eingesetzt wurde und welche Bedeutung es in der Praxis auch tatsächlich hat. Heute liegen die Herausforderungen des Pattern Minings weniger in der Evidenzbasis für die Patterns selbst als vielmehr für die Kombinationen und Beziehungen zwischen den Patterns. Daran forscht in unserem Team vor allem Alex Schneider, der seinen Ansatz zur SPIEL in Essen 2021 in einem eigenen Blog-Artikel zusammengefasst hat.

Autor*in
Prof. Dr. Thomas Voit